Arbeitsgruppe 1:
Gestaltung des Grenzregimes an der künftigen Ostgrenze der EU:
Beispiele, Optionen, juristische und administrative Voraussetzungen.
Arbeitsgruppe 2:
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: wirtschaftliche und politische
Konzepte, Wirtschaft und Handel, Verkehr, Euroregionen, Arbeitsmigration.
Michael Emerson hat die Empfehlungen der beiden Arbeitsgruppen vorläufig
wie folgt zusammengefasst:
(1) Mehrfach-Visa: Estland und Russland haben sich bereits
auf einen Entwurf geeinigt für ein langfristiges und kostenloses Mehrfach-Visum
für Einwohner der Grenzregion von Narva-Ivangorod. Polen und die Ukraine
könnten einen ähnlichen Entwurf für ihre Grenzregionen vorlegen und
die EU könnte beiden Seiten ermutigen, ihn zu verwirklichen.
(2) EU Konsulate in der Grenzregion. Die EU und die Kandidatenstaaten
sollten jetzt mit den Planungen für eine angemessene Zahl von Konsulaten
in diesen Grenzregionen beginnen, sodass Visagesuche für alle Schengenstaaten
in einem oder mehreren Konsulaten von EU-Mitgliedstaaten in regionalen
Zentren wie z.B. in Lwiw bearbeitet werden können.
(3) Verzögerungen bei Zoll- und Passkontrolle. Wie beschrieben
gibt es ernsthafte Probleme schon vor Polens Beitritt zur EU und Schengen.
Diese Verzögerungen sind unentschuldbar. Die Verantwortung liegt bei
den polnischen und ukrainischen Behörden. Möglicherweise sollten hier
von der EU Zoll-Personal verübergehend abgestellt werden, um zu helfen
und die Korrekturen zu überwachen.
(4) Visa-Regime für EU-Besucher der Ukraine. Die ukrainischen
Autoritäten sollten die Visapflicht für Besucher aus der EU abschaffen,
weil es ein unnötiges Hindernis für Tourismus und Handel darstellt.
Wenn der Staat meint, er kann auf die Einkünfte nicht verzichten, dann
könnte man Visa am Grenzübergang kaufen, verbunden mit einer einfachen
schnellen Formalität (wie es die Türkei macht). Diese einseitige Maßnahme
wäre der Ukraine gegenüber nicht unfair, da ja die EU größere Anstrengung
unternehmen würde, um der Grenzregion auf andere Weise zu helfen.
(5) Elektronische Grenze. Der technische Fortschritt macht
es möglich, beträchtliche Erleichterungen bei der Grenzformalitäten
zu planen, z.B. mit maschinenlesbaren Pässen und Visa. Auch könnten
die EU-Grenzposten, die online mit dem Schengen Informations-System verbunden
sind, so ausgebaut werden, dass Visa auf der Stelle erneuert werden können.
Die EU sollte die Einführung eines System mit “smart cards” (wie
eine Kreditkarte mit Foto) in Betracht ziehen, um Kurzzeitbesuche kontrollieren
und dokumentieren zu können (wie es an der Grenze USA/Mexiko für die
dortigen Pendler gehandhabt wird).
(6) Euro-Region Status. Die Persson-Prodi Vorschläge gehen
in die Richtung (ohne es auszusprechen), das Konzept der Euro-Region auf
die Grenzgebiete der Ukraine mit den künftigen EU-Mitgliedsstaaten (Polen,
Slowakei, Ungarn, Rumänien) anzuwenden. “Euro-Region” heißt bevorzugter
Einsatz von politischen und finanziellen Mechanismen um die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit zwischen verschiedenen EU-Staaten und/oder Kandidatenstaaten
zu verbessern. Die Ukraine als Ganzes kann zwar nicht als Beitrittskandidat
behandelt werden, aber mit dem politischen Willen, den die Persson-Prodi-Initiative
ausdrückt, sollte eine Ausweitung der Euro-Region-Mechanismen auf unsere
Grenzregion möglich sein.
Die EU-Beitrittsperspektive der Ukraine. Über die sehr
viel größere Frage einer EU-Mit-gliedschaft sollte man sich keine Illusionen
machen, sie steht auf viele Jahre nicht an. Gleichwohl bleibt es von vitalem
Interesse für die Öffentliche Meinung und für die Strategien von Unternehmen,
Regierung und Individuen der Ukraine zu wissen, wo die Zukunft des Landes
liegt. Die EU sollte die Perspektive einer Mitgliedschaft der Ukraine
anerkennen und begrüßen. Das ist kein politisch voreiliger oder operational
überflüssiger Vorschlag. Das betrifft die Richtung der ukrainischen
geopolitischen Zukunft heute. Viele in der EU werden einwenden, die Erfahrung
mit der langfristigen Kandidatur der Türkei sei keineswegs ermutigend
für eine weitere sehr langfristig angelegte Verpflichtung. Aber die Fälle
liegen ziemlich unterschiedlich. Die Ukraine von heute zögert zwischen
einer West- (EU) und einer Ost- (Russland) Orientierung, in einer Zeit,
in der Russlands Politik ganz offen auf eine Wiederbelebung der früheren
Sowiet-Union zielt, wo immer sich eine Möglichkeit bietet, wobei auch
quasi Zwangs-Taktiken nicht ausgeschlossen sind (siehe Georgien). Die
EU und Russland trachten nach einer zunehmend verstärkten strategischen
Parterschaft, und das ist gut so. Aber wenn die Ukraine ihrerseits nun
langfristig eine Integration in die EU anstrebt, dann sollte das ermutigt
werden, so dass es auch die Bevölkerung bemerkt, also nicht nur in der
diplomatisch/bürokratischen Redeweise wie “Ausschöpfen des ganzen
Potenzials des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens”. Die Perspektive
einer EU-Mitgliedschaft, und wenn auch nur einer langfristigen, bedeutet
etwas.
Arbeitsgruppe 3:
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: Künste, Medien, Wissenschaft.
Nach einem halben Jahrhundert Funkstille zwischen der damaligen Volksrepublik
Polen und der Sowjetukraine, d.h. auch: nach der Zeit der ideologisch
begründeten Tabus (die wirklichen polnisch-ukrainischen Begegnungen fanden
unter den Emigranten-Zirkeln vor allem in Paris statt) waren die 90er
Jahre gekennzeichnet durch einerseits den schwierigen Prozess der “Vergangenheitsbewältigung”,
andererseits, dank der erstmals quasi offenen Grenze zwischen beiden Ländern,
ein Prozess der Begegnungen auf unterschiedlichen Niveaus, die alle mehr
oder weniger explizit auf eine gemeinsame europäische Perspektive zielten.
Dieser erfreulichen Entwicklungen sollten keinesfalls gestört, behindert
oder unter Umständen auch wieder rückgängig gemacht werden durch eine
schwer zu überschreitende EU-Aussengrenze zwischen den beiden Ländern.
Aktivitäten auf nichtstaatlicher und regionaler Ebene:
- Installation eines Nachrichtenservers mit aktuellen Informationen
über Ereignisse in der Ukraine und Polen auf Polnisch, Ukrainisch,
Englisch.
- Etablierung eines Systems für den Bücheraustausch zwischen den polnischen
und ukrainischen Bibliotheken.
- Gründung eines unabhängigen nichtstaatlichen Instituts für historische
Forschungen in Lwiw, analog zum Wissenschaftlichen Ost-Süd-Instituts
in Przemysl; Sammlung und Publikation von Studien über zwischennationale
Beziehungen und nationale Minderheiten in der Region.
- Die Möglichkeiten des Polnisch- und Ukrainisch-Studiums erweitern;
der soziale Status der beiden Sprachen sollte gehoben werden.
- Polnische Wissenschaftler sollten für eine Hochschulreform in der
Ukraine gewonnen werden, insbesondere im Bereich der postgraduate studies.
- Empfehlung an das polnisch-ukrainischen Forum, es möge als weitere
Mitglieder ihres Gremius Vetreter der aktiven NGOs einladen.
Empfehlungen an die Regierungen und an die EU:
1. Die europäschen Programme für die Beitrittskandidaten sollten auf
die Ukraine ausgeweitet werden.
2. Kostenlose Mehrfachvisas sollten erteilt werden für Kulturschaffende,
Wissenschaftler, Journalisten, die sich mit dem Thema der grenzüberschreitenden
Kooperation beschäftigen.
3. Das System der Euroregionen sollte exemplarisch an der polnisch-ukrainischen
Grenze weiterentwickelt werden.
4. Die lokalen grenzüberschreitenden Initiativen sollte auch unabhängig
vom jeweils nationalen Kontext stärker gefördert werden.
|