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Walter Mossmann

CODE ORANGE III

Es war offensichtlich nur ein Lapsus, ein Versprecher, einfach so herausgerutscht, als der TV-Korrespondent aus New York mitteilte, wenn Saddam seine Al-Samoud-2-Raketen nicht schleunigst zerstöre, dann habe Präsident Busch endlich den “Vorwand” für seinen Krieg. Er sagte tatsächlich “Vorwand”, aber interessanterweise gab es darauf keinerlei Reaktion, weder Protest noch Korrektur, man nahm das einfach so hin. Es schien, als ob das böse Wort herausgeschlüpft sei aus einer nichtoffiziellen Denkebene, auf der sich die Experten, Politiker und Journalisten heimlich untereinander verständigen, auch wenn man offiziell davon nicht geredet wissen will.

Gut, fürs breite Publikum erzählt man die Detektiv-Schmonzette vom braven Kommissar Hans Blix, dessen SOKO in den Palästen und Hinterhöfen des Irak herumschnüffelt, und man baut allerhand Spannung auf, als ob von den Resultaten seiner Kontrolle tatsächlich die Entscheidung über Krieg oder Frieden abhinge. Die Leute mögen halt Kriminalromane.

Es ist wie in “Des Kaisers neue Kleider”. Alle sehen durchaus die nackten geopolitischen und ökonomischen Interessen der Vereinigten Staaten, und wir wissen auch, dass die USA sich gezwungen fühlen, in Gottes Namen am Persischen Golf für Ordnung zu sorgen, weil es sonst niemand tut, und wir ahnen, dass nach dem Brückenkopf Irak wohl Syrien drankommt und dann der Iran, und dass sich die ganze Operation letztlich um das künftige Problemgebiet Saudi-Arabien dreht – alles das ist irgendwie bekannt, aber irgendwie auch ziemlich gaga, also reden wir lieber über die Bemäntelung der nackten Tatsachen durch eine Detektiv-Schmonzette mit Hans Blix in der Hauptrolle.

Trotzdem kann es natürlich nicht schaden, die Rüstungskontrolle der UNO (dafür steht ja in Wirklichkeit der Name des alten Schweden) beim Wort zu nehmen und zu fragen, was sie denn nun kann und was sie nicht kann. Zur Klärung dieser Frage hatte Matthias Deutschmann am Sonntag Abend den Darmstädter Friedensforscher Wolfgang Liebert ins Theatercafé eingeladen, im Rahmen seiner Veranstaltungsserie “Code Orange – eine politische Spurensuche”. Und da entwickelte sich denn auf der Bühne ein ganz unaufgeregtes und unpolemisches Gespräch – auch Deutschmann hatte sich beeindruckend schlau gemacht – vor allem

- über das vormalige Atomprogramm des Irak (aufgebaut in den 80ern, abgebaut in den 90ern, beide Male mit westlicher Beteiligung),

- über historische Zufälle und eine normative Kraft des Faktischen, welche fünf Atom-Mächte mit Veto im Sicherheitsrat schuf und drei weitere ohne Veto, aber eben mit Bombe,

- über die weltweit verbreitete Begehrlichkeit nach solchen Waffen und

- über die Unmöglichkeit der Non-Proliferation.

Natürlich wurde die alte Frage nicht ausgelassen, ob, und wenn ja, wie denn einfache Leute wie ich und du und der gemeine Terrorist in Besitz einer A-Waffe kommen könnten, der Referent hob auch schon an: “Drei Dinge braucht man ...” (“Safran macht den Kuchen gehl!”), aber nein, es braucht bekanntlich hochangereichertes Uran, wovon weltweit immerhin 2000 Tonnen existieren, und bekanntlich geht auch Gefahr von unseren hochanständigen Wiederaufbereitungsanlagen und den Schnellen Brütern aus – nun ja, diese Erkenntnisse sind nicht neu, Deutschmann erinnerte sein Publikum daran, dass auf den Tag genau vor 28 Jahren der AKW-Bauplatz in Wyhl besetzt wurde von Aktivisten, die der Öffentlichkeit seither unablässig mit der Behauptung in den Ohren liegen, dass die friedliche und die militärische Nutzung der Atom-Technologie letztendlich nicht voneinander zu trennen seien.

Inzwischen hat Georges W.Busch klar gemacht, dass er auf jeden Fall den Befehl zum Angriff geben will, auch wenn Saddam die deklarierten Raketen zerstören lässt (“dann hat er eben andere versteckt”), und Saddam droht via BILD-Zeitung mit chemischen und biologischen Kampftoffen.

Die Eskalation ist offenbar unaufhaltsam, und während sich die beiden Gesprächspartner Deutschmann und Liebert an ihrem netten Tischchen auf der netten Bühne des Freiburger Theatercafés von ihrem netten Publikum verabschieden, richtet sich die internationale Medienwelt auf ein Phänomen ein, das seltsamerweise nicht Krieg, sondern “Waffengang” genannt wird, als ob wir uns in einem Roman von Walter Scott befänden – George W.Busch und Saddam Hussein reiten unter Kreuz und Halbmond und bewaffnet mit hölzernen Lanzen aufeinander zu. Ach, täten sie’s doch.