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Offener Brief für Schaffung eines internationalen Bruno-Schulz-Begegnungszentrums

Bruno Schulz, der hochgeachtete polnisch-jüdische Maler und Schriftsteller (übersetzt in mehr als 26 Sprachen) hat unter dem Schrecken der deutschen Besatzung 1941/42 in der galizischen Stadt Drohobycz, um sein Leben zu retten, in der von dem Wiener SS-Führer Felix Landau okkupierten Villa Wandfresken für dessen Kinder gemalt.

Die Entdeckung dieser Wandmalereien im Februar 2001 durch den Filmemacher Benjamin Geissler, sowie die im Mai 2001 folgende internationale Kontroverse um die Ausfuhr von Teilen der Gesamtkomposition dieser Wandmalereien nach Israel durch Vertreter der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, erhöhten das Interesse für diesen genialen Graphiker und Schriftsteller auf der ganzen Welt. Der polnischsprachige Bruno Schulz gehört mit Sicherheit zu den bedeutendsten Dichtern des 20. Jahrhunderts, er ist aber zugleich eines der tragischen Opfer des Holocausts.

Das Schaffen von Bruno Schulz ist Teil des kulturellen Erbes einer Region in Ostmitteleuropa, die eine wechselhafte, oft hoch dramatische Geschichte hat.

Heute ist Schulz eine symbolische Gestalt, die in sich die für seine Umgebung so charakteristische Multikulturalität und Vielsprachigkeit und das Grauen des Judenmords durch den Nazi-Terror miteinander verbindet. Dieses Schicksal – wie auch sein Werk – bedürfen heutzutage nicht nur eines Gedenkens, sondern können eine Chance für die Zukunft sein: Seine Geschichte und das Kulturerbe der Region können bei sachkundiger und einfühlsamer, zukunftsorientierter Pflege und Präsentation völkerverbindend und konfliktmindernd wirken.

Daher diese, zunächst durch den Entdecker der Malereien aufgeworfene Idee, in Drohobycz ein internationales Forschungszentrum zum Schulz-Werk und zu der komplizierten Geschichte dieser Region ins Leben zu rufen.

Das Bruno-Schulz-Begegnungszentrum sollte einerseits der Ausgangspunkt für interdisziplinäre Studien von Historikern, Literaturwissenschaftlern, Künstlern, Psychoanalytikern, Politikwissenschaftlern, etc. dieser Region Europas werden und andererseits zum Treffpunkt interessierter Menschen aller Nationalitäten werden. Wobei ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit darauf gerichtet sein sollte, den Nachfahren der durch die Geschichte und ideologischen Wahnsinn Getriebenen die Möglichkeit zu geben, den Hass und Stereotypen abzubauen und den Blick gemeinsam in die Zukunft zu richten.

Das geschichtlich wichtige Städte-Dreieck   Drohobycz - Boryslaw – Truskawiec liegt ab Mai 2004 nur 70 km von der EU-Außengrenze an den nordöstlichen Ausläufern der Karpaten im Ost-Galizischen Erdölgebiet in der Ukraine.

Drohobycz war vor dem II. Weltkrieg eines der wichtigsten Zentren der jüdischen Kultur in Osteuropa. In dieser Kleinstadt der österreich-ungarischen Provinz Galizien wurde Bruno Schulz 1892 geboren. Er dachte und schrieb auf polnisch und lehnte alle Angebote Drohobycz zu verlassen ab, weil er spürte, dass er an einem anderen Ort nicht kreativ sein konnte.   1939 bestand die Bevölkerung von Drohobycz aus 36.000 Einwohnern, wovon 17.000 jüdischen Glaubens waren. Während der deutschen Besatzung wurden die meisten Juden in dem Vernichtungslager Belżec und im Wald von Bronica ermordet. 1944 hatten nur noch 400 Drohobyczer Juden überlebt.

Aber auch heute noch strahlt Drohobycz etwas von der morbiden Schönheit der Schulz’schen Erzählungen und Zeichnungen aus. Die Stadt und ihre Umgebung sind voll von Denkmälern der Vergangenheit. Aus dieser Gegend stammten der herausragende ukrainische Dichter Iwan Franko, der bedeutende jüdische Maler Maurycy Gottlieb oder der wunderbare polnische Lyriker Kazimierz Wierzynski. Dies zeugt von Reichtum und Vielfalt des Erbes, auf das sich die Forscher beziehen könnten. Zugleich ist Drohobycz aber auch der Sitz einer sich rasch entwickelnden zukunftsoffenen Universität.

Wir, die Unterzeichner, fordern dass:

- angesichts des historischen Hintergrunds dieses Projekt unter Beteiligung der Regierungen Deutschlands, Österreichs, Polens, der Ukraine und Israels mit Nachdruck vorangetrieben wird.  

- ein konstruktiver Dialog mit der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem aufgenommen wird.

- die Gesamtkomposition der Wandmalereien von Bruno Schulz am Ort ihrer Entstehung wieder hergestellt wird, und somit die Möglichkeit besteht, die von Benjamin Geissler aufgestellte und mit Beispielen belegte Arbeitshypothese, dass es sich bei diesem Werk auch um eine Darstellung der Shoah in Drohobycz handelt, wissenschaftlich und kunsthistorisch ausgewertet werden kann.

Wir schlagen vor, dass aus den vorgenannten Ländern 3 zwölfmonatige Stipendien an Personen vergeben werden, die qualifiziert sind, in Zusammenarbeit mit der Universität Drohobyč und im Dialog mit renommierten, international anerkannten, Gelehrten wissenschaftlich und ökonomisch die Grundlagen für die Schaffung des Bruno-Schulz-Begegnungszentrum zu legen. Konkrete Arbeitsvorhaben, die sich aus dieser ersten Periode entwickeln, sollten zwei weitere Jahre lang finanziert werden.

Operativ heißt das:

1.Gründung eines Trägerverein bzw. einer Stiftung mit einem internationalen Kuratorium, dem Persönlichkeiten der jüdischen und nicht-jüdischen ukrainischen, polnischen und deutschen Kultur angehören, die an dem multikulturellen Erbe des Drohobyczer Landes interessiert sind. Behörden sowie Kulturvereine sollten bereits am Anfang in die Planungsüberlegungen einbezogen werden. Die Zustimmung der ukrainischen Regierung zu einem Projekt, das von der Stadt- und der Gebietsverwaltung mitgetragen wird, ist leichter und schneller zu erreichen, da Zuständigkeiten für den Denkmalschutz und die Finanzierung des Vorhabens auf kommunaler bzw. Gebietsebene angesiedelt sind.

2. Eruierung und Planung für den Erwerb einer Immobilie durch den Trägerverein bzw. der Stiftung in der das Bruno-Schulz-Begegnungszentrum seinen endgültigen Platz finden kann. Dabei sollte die Priorität auf der Villa in der Vul. Tarnaws’koho 14, Drohobyč liegen. Die Wahrung der Interessen der derzeitigen Bewohner ist dabei unverzichtbar. Gleichwertigen Wohnraum zu beschaffen, dürfte möglich sein.

3. Bei der Finanzierung des Projekts ist neben den Kosten für den Erwerb der Villa und der Ersatzwohnungen sowie der Restaurierungs- und Instandsetzungsarbeiten auch an Kosten für den Unterhalt des Objekts (Strom, Heizung. Wasser, Müllabfuhr, Sicherheit) und an Personalkosten zu denken. Diese würden sich nach der zukünftigen Nutzung richten. Schon in diesem Stadium der Überlegungen müsste von einem Bedarf von mindestens 2-3 Personen ausgegangen werden (Leiterin/Leiter mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Verwaltung, Hausmeister). Je nach Intensität der Nutzung (Wechselausstellungen, Seminare, Lesungen) könnte der Personalbedarf auch höher sein.

Durch die Einbeziehung der Universität von Drohobycz und der regionalen Kulturvereine könnten deren Mitarbeiter an der Programmgestaltung und -umsetzung beteiligt werden (Synergieeffekte, Kostenminderung).

Gezeichnet:
Name      Beruf / Funktion

1) Benjamin Geissler, Filmregisseur/ Endecker der Wandmalereien von Bruno Schulz, Hamburg
2) Jerzy Ficowski, Schriftsteller, Warszawa
3) Prof. Dr. Phil. Frank Golczewski, Universität Hamburg - Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte
4) Günter Grass, Schriftsteller und Graphiker, Nobelpreis für Literatur, Lübeck
5) Marek Podstolski, Nachlassverwalter von Bruno Schulz, Köln
6) Padraic Kenney - Professor of History; Director, Central and East European Studies; University of Colorado, Boulder
7) Prof. Claudio Magris, Schriftsteller und Publizist, Trieste, Italia
8) Krzysztof Czyzewski, President Borderland Foundation, Sejny, Poland
9) Dr. Dieter Bingen, Direktor des Deutschen Polen-Instituts, Darmstadt  
10) Fred Gehler, Festivaldirektor, International Leipzig Festival for Documentary and Animated Film
11) David M. Luebke. Associate Professor, Department of History, Department of Germanic Languages and Literatures, University of Oregon, Eugene
12) Prof. Dr. Bogdan Osadczuk-Korab, emeritierter Prof. für osteuropäische Geschichte FU Berlin, und Publizist
13) Denise V. Powers, Assistant Professor of Political Science, University of Iowa
14) Marianne Brentzel, Autorin, Dortmund
15) Ulrich Lampen, Regisseur, Strasbourg
16) Klauspeter Sachau, Grafiker (Dortmund)
17) Prof. Jerzy Jarzebski, polonista z Uniwersytetu Jagiellonskiego
18) Prof. Dr. Siegfried Zielinski, Professor für Kunst- und Medienwissenschaften, Kunsthochschule für Medien, Köln
19) Marguerite Feitlowitz, Literature Faculty Bennington College, Bennington, VT
20) Tuhviah Friedman, Institute of Documentation in Israel for the Investigation of Nazi War Crimes Haifa, Israel
21) Agnieszka Kijowska, art conservator, Warsaw, Poland
22) Shlomit Gorin, Consumer Advocate, San Francisco, USA
23) Michael Banos, Ortvereinsvorsitzender ver.di, Michael Banos, Fachbereich Medien und Kunst, Dortmund
24) Dorothee Lottmann-Kaeseler, director, Active Museum Of German Jewish History In Wiesbaden, (Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V.)
25) Laurie Koloski, Assistant Professor of History, College of William & Mary, Williamsburg, VA, USA
26) Hans Burkhard, Schlichting, Chefdramaturg (SWR Hoerspiel ), Badaen Baden, Germany
27) Michael Graubart, composer, lecturer and writer (and was a refugee from Austria in 1938), London, UK
28)  Patricia Reimann, Munich, Germany
29)  Krzysztof Gierat, Festival Director, Cracow Film Festival, Poland
30) Dr Mira Salska-Bünsch, Journalistin, Hamburg, Germany
31) Edwin Langberg, PhD, former Schulz-student, New York, USA
32) Barbara Wozniak, Foto-designerin, Dortmund, Germany
33) Keith Griffiths, Independent Film Producer, UK
34) Jocelyne Gervais, Montréal, Québec, Canada
35) Helmut Weiss, Stellvertretender Bezirksvorsitzender ver.di, Dortmund, Germany
36) Brothers Quay, Filmmakers
37) Suzanne Robert, writer, Montréal, Quebec, Canada
38) Gilles Parent, Montréal, Quebec, Canada
39) Sandra Ewers, Warszawa, Poland
40) Natalka Filevych, Curator of Bruno Schulz Murals Exibishion in Lviv, Galery of Arts, Lviv, Ukraine
41) Alfred Schreyer, former Schulz-student, Drohobycz, Ukraine

„JI“:

42) Jurij Andruchowycz, Schriftsteller
43) Taras Wosniak, Herausgeber der Zeitschrift „Ji“
44) Taras Prochasko, Schriftsteller
45) Jurko Prochasko, Publizist, Übersetzer
46) Iryna Magdysz, Publizistin, Ji-Redaktuerin
47) Iwan Borynskyj, Beamter
48) Tetiana Artuszewska, Ukrainisches Öffentliches Radio (Warszawa)
49) Wolodymyr Pawliw, Radio Liberty (Warszawa)
50) Witalij Ponomarow, Journalist (Kiew)
51) Swiatoslaw Jarynycz (Kiew)
52) Wolodymyr Szczerbaczenko, Leiter Ostukrainisches Zentrum öffentlicher Initiativen (Luhansk)
53) Tamara Tracewycz, Ratsvorstand, Zentrum für Menschenrechte  „Lebensbaum“ (Charkiw)
54) Marija Krywenko, Schriftstellerin (Lwiw)
55) Halyna Tomkiw (Zeitschrift Ji)
56) Mykola Jakowyna, Schulz-Übersetzer, Ex-Kulturminister (Kiew)
57) Ihor Krawziw, Zeitung „Molodyj Bukawynec’“ (Czernowitz)
58) Wadym Pelech, Radio Bukowina, Zeitung Doba (Czernowutz)
59) Jaryna Borenko, Publizistin, Politikwissenschaftlerin (Lwiw)
60) Oles’ Sawenok, Frauen-Informations- und Beratungszentrum (Kiew)
61) Olena Suslowa, Frauen-Informations- und Beratungszentrum (Kiew)
62) Andrej Chadanowicz, Dichter (Minsk, Weißrussland)
63) Natalia Jakowenko, Historikerin, Prof. an der Kiew-Mohyla-Akademie
64) Oles’ Pohranycznyj, Journalist (Lwiw)
65) Andrij Sadowyj, Direktor, Institut für Stadtentwicklung (Lwiw)
66) Inna Bulkina, Schriftstellerin, Publizistin (Kiew)
67)  Myroslawa Prychoda, Doz. an der Uni-Lwiw, Redakteurin
68) Dmytro Redko, Journalist, Politikwissenschaftler (Kiew)
69)  Jurij Demkowycz (Lwiw)
70) Oleh und Zoriana Rybczynski (Lwiw)
71) Orest Drul, Journalist, Publizist, Verleger (Lwiw)
72) Andrij Szkrabjuk, Essayist, Theologe (Lwiw)
73) Artem Zamoznyj, Goethe-Institut-Kulturzentrum (Kiew)
74) Oleh Chawycz, Institut der Stadtentwicklung (Czernowitz)
75)  Branislava Stojanoviæ (Beograd)
76) Wolodymyr Fedyna (Lwiw)
77)  Jurij Iwanow (Lwiw)
78) Kiryla Ilnicki (Minsk)
79) Oksana Gorelik, Journalist (Lwiw)
80) Julija Serdjukowa, MOLODIST 2003, Kiew International Film Festival
81) Denis Iwanow, MOLODIST 2003, Kiew International Film Festival
82) Maryna Szuch, MOLODIST 2003, Kiew International Film Festival
83) Jaroslaw Hrycak, Historiker, Prof. Leiter Institut für Geschichtsstudien, Uni Lemberg
84) Olena Turianjska, Künstlerin (Lwiw)

Unter: http://brunoschulz.narod.ru/schulz-center.htm