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Taras VoznyakStagnation der kulturellen Strategien in der UkraineMüssen wir kulturelle
Praktiken in der Ukraine „bilden“? Nach dem Majdan
der Würde und einem für die Wirklichkeiten einer Revolution ziemlich
langewährenden Verweilen sozusagen neuer Leute an der Macht, bilden sich
immer deutlicher sichtbare Spannungen zwischen der Gesellschaft, die
Veränderungen erwartet und der Macht-Elite heraus. Dabei erwartet die Gesellschaft
keine Veränderungen, sie führt sie schlicht durch, insbesondere durch
verschiedenartige Freiwilligenbewegungen, die ein riesiges Spektrum sozialer
Aktivitäten von der Hilfe für die Armee bis zur Bildung von
Strategien der Kulturpolitik des Landes abdecken. Hierauf reagiert der
ambitionslose Staatsapparat trotz des Austauschs der Leute entweder träge
oder sogar mit Misstrauen. Mehr noch, manchmal stellt er nicht absolut genau
das her, was die Strategien der Zeiten Janukowytschs
waren, sondern sogar der UdSSR. Egal was man macht, es kommt entweder die
Kommunistische Partei der Sowjetunion oder das Kalaschnikow-MG heraus. Es ist offenkundig, es liegt
nicht an den Menschen. Selbst die patriotischsten Personen, die dem Mechanismus
unterworfen sind, der noch zu Zeiten der UdSSR errichtet wurde, beginnen nach
der Logik der KPdSU zu handeln. Was noch schlimmer ist, sie versuchen die
nationalen ukrainischen Strategien in das Prokrustes-Bett des sowjetischen
Totalitarismus zu betten. Diese Überlegungen sind
Prolegomena. Über all das – von der militärischen bis zur
medizinischen Hilfe – zu sprechen ist sinnlos. Obwohl das Steckenbleiben der
Reformen in methodologischer Hinsicht in allen Bereichen des gesellschaftlichen
Lebens ein und dasselbe ist, die Selbsterneuerung der sowjetischen logistischen
Schemata. Ich möchte über
Probleme im Beeich der Kultur sprechen. Warum? Deshalb, weil man sie nach
sowjetischer Gewohnheit wie immer ignoriert hat. Außerdem in gewisser Weise
demonstrativ auf vulgäre Weise. Die Tatsache, dass die Ukraine de
facto keinen amtierenden Kultusminister hat, ist bereits allen
verständlich. Trotz aller Genialität oder Arbeitsamkeit – jeder
Mensch hat nur 24 Stunden pro Tag. Und deshalb arbeitet er nur 24 Stunden. Im
besten Fall. Ebenso kann man nicht die
strategische Arbeit auf der Ebene des Vize-Premier-Ministers und die
Amtsführung auf der Ministerebene verbinden. Ein und dieselbe Person kann
nicht sich strategische Aufgaben geben und sie ausführen. Und
natürlich die Ausführung überwachen natürlich. Es geht hier im Wesen nicht um
Persönlichkeiten, ich wiederhole es noch einmal, es ist ein struktureller
Fehler. Ob die Sorglosigkeit – denn was ist denn schon Kultur – an sich eine
kleine Dummheit ist, sie ist doch Gegenstand überparteilicher Vereinbarung
der Regierungskoalition. Und so lange es noch nicht dahin
gekommen ist, dass das, was im Donbass vor sich geht, seinen Grund nicht so
sehr in den bösen Überlegungen Putins hat, als vielmehr in dem Fehlen
vor allem einer ukrainischen kulturellen Identifikation eines bedeutenden Teils
der Bevölkerung des Donbas. Gelegentlich
hängt sie nicht von der ethnischen Herkunft oder Sprache ab – erst
kürzlich war der ermordete Führer einer der Bandengruppen Mosgovoj ein Ukrainer von Blut und Knochen, und er sang sie
zudem auch hübsch. Von seiner Identifizierung her „natierlich
ejn Russe“. Bei uns aber ist Kultur erneut
zweitrangig, erneut ist sie ein Bereich, wo man sparen kann. Während des
2. Weltkrieges schlug man Winston Churchill vor, bei der Kultur zu „sparen“,
das Britische Museum zu schließen, worauf er antwortete: „Wofür
kämpfen wir dann?“ Bei uns „sparen“ sie die gesamten 23 Jahre unserer
Unabhängigkeit. Und dann zahlt man mit Blut. Und die heutige Regierung
macht hierbei leider keine Ausnahme. Deshalb wird der der sowjetische
Stil auch heute wiederhergestellt. Und das ist dier
Hauptgrund der Stagnation der kulturellen Strategien in der kurzen Post-Majdan-Ukraine. Was soll man tun, wenn die Auswechslung der
Leute in den Führunspositionen nichts
ändert? Sicherlich die Beziehungen zwischen den kulturschaffenden
Kreisen und dem Staat radikal ändern. Aber wie sind sie? Es gibt drei Arten von
Regulierungen kulturschaffender Aktivitäten in
verschiedenen Staatstypen. In Staaten mit tiefen
demokratischen Traditionen ist ein großes Kapital das Vertrauen und die
Solidarität, die auf die Entwicklung der Kultur ausgerichtet ist, eine
ausreichend funktionierende – wirklich funktionierende, und nicht imitierende –
Gesetzgebenung und öffentlicher Netze, von
Aktionärs- und Privat-Einrichtungen. Öffentliche Institutionen
und private Sponsoren unterstützen finanziell kulturelle Institutionen.
Aktionärsvereinigungen sind teilweise solche Kulturinstitutionen. Private
Kulturinstitutionen schaffen ein kulturelles Produkt und verkaufen es auf dem
Markt. Selbstverständlich ist dies ein Ergebnis tiefreichender Traditionen
der Selbstorganisation der amerikanischen Gesellschaft, und nicht weniger tief
protestantischen religiösen Traditionen. In einer solchen Situation ist
irgendein besonderes Kultusministerium nicht notwendig. So gibt es dieses
beispielsweise in den USA nicht. Gleichwohl kann man nicht sagen, dass die USA
auf dem Markt kultureller Produkte erfolglos seien. Natürlich ist dies die
Situation einer liberalen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, für die die
persönliche Freiheit jedes einzelnen Bürgers Grundlage und Ziel
gesellschaftlicher Regulierungen ist. Solch eine Gesellschaft formuliert keine
programmatisch aussehenden Dokumente der Kulturpolitik auf staatlicher Ebene.
So haben es die Gründungsväter der gegenwärtig erfolgreichsten
Gesellschaft festgelegt. Gleichwohl: wie stark ist der amerikanische Einfluss
auf die Entwicklung der Weltkultur! Es scheint, größer als unser.
Ein Scherz. In Ländern, die eine tiefe etatistische, staatsgelenkte Tradition hinter sich haben,
die zu den absolutistischen Monarchien wie Frankreich reicht, ist die Situation
etwas anders. Der absolutistische Monarch regulierte die kulturellen
Strategien, man mag sich etwa an den Sonnenkönig Ludwig XIV. erinnern. Er
gab den Ton nicht nur in der Mode, im Theater, in der Musik, in der Malerei
oder Architektur an, sondern buchstäblich in allem, was die Kultur betraf,
bis in die kleinsten Details. Mit der Zeit ersetzte den Sonnenkönig ein
nicht weniger despotischer König, der Markt. In Ländern, in denen das
Kulturprodukt eines der wichtigsten Exportpositionen ist wie in Frankreich,
Spanien oder Italien, da ist das Kultusministereium
sehr wichtig. Es konzentriert seine Aufermksamkeit
nicht so sehr auf die Ausbildung kultureller nationbildender
Strategien als auf die Unterstützung, Produktion und – am wichtigsten . den Export des Kulturprodukts. Kulturprodukt, das sind Kino,
malende Kunst, touristische Dienstleistungen und Küche, Mode, selbst
Landschaft, d. h. nicht bloß „Lieder und Tänze“, wie man es bei uns
oft sieht. Und alle diese Arten des Kulturprodukts werden als Gesamtgebilde
verkauft. Das Landschaftsbild Toledo, das nicht von neuzeitlichen Marodeuren
zerstört wird, wie bei uns, wird gemeinsam mit einem Gemälde Goyas
und spanischem Wein und touristischen Diensten verkauft. Das ist die Position der Länder, in denen der Staat traditionell aktiv daran Anteil
nimmt, und sogar in demokratischer – d. h. Markt-Methode
Kulturpolitik ausbildet. Und es gibt totalitäre
Länder, die Kultur dafür nutzen, um Mentalitäten, politischen Überzeugungen ihrer
Bürger zu formieren (Drittes Reich, Nordkorea) und Ausländer (das
moderne Russland von Putin, der unter dem Deckmantel von Peter Tschaikowsky und
Waleri Gergijew (Intendant von St. Petersburg, Anm. d. Ü.) und versuchte,
die ganze Welt in einen Dritten Weltkrieg zu ziehen). In solchen autoritären
Ländern ist die Kultur ein Instrument, wird sie umfassend gebraucht
für Propaganda und selbst politische Manipulationen (wie kann man also ein
Land Dostojewskijs/Tschechows oder Goethes/Schillers für barbarisch
halten). Das Kultusministerium der UdSSR
(und ebenfalls die der nationalen „Republiken“) waren genau solche
propagandistischen Maschinen, die dem kommunistischen Regime dienten. Damit die
Steuerung der Kultur unter den Bedingungen des stalinistischen Neofeudalismus
effektiv sei, wurden sie auf der streng herrschaftlich-klienteler
Grundlage errichtet. Die kommunistische Nomenklatur war der Oberherr, die
Künstler aber – zusammengetrieben ind
schöpferische Ställe (Vereinigungen) die Klientel. „Die Meister der Kunst“ im
weitesten Sinne, von den Schriftstellern bis zu den Volkskünstlern, wurden
vom kommunistischen Staat, genauer von der Nomenklatur subventioniert. Die Förderung funktionierte
nicht nur durch das Kultusministerium, sondern durch eine ganze Reihe anderer
Institutionen. Mit einem Wort: über verschiedene Weisen von
„Ernährern“: Künstler-, Musik- und andere –Fonds. Und sie „mästeten“ intensiv
die „Meister der Kunst“. Wie erfüllten sie ihre
Hauptfunktion? Sie trennten sie von einer der wichtigen Quellen
künstlerischen Schaffens, den ethischen Prinzipien. Über das ethische
Prinzip werde ich nicht sprechen. Dies ist Gegenstand eines anderen
Gesprächs. Solche Regime diktieren und
regulieren streng die kulturellen Praktiken, tatsächlich verwandeln gerade
totalitäre Regime kulturelle Praktiken in Kulturpolitik. Was kann man nun von der Ukraine
sagen? Die Ukraine hat von der UdSSR das klientelische
Kultusministerium geerbt. Dieses war und ist ein Verteiler, der die Ressourcen
unter den Kulturinstitutionen verteilt. Wo es aber etwas zu verteilen gibt, da
gibt es auch etwas zu erteilen. Dort gibt es auch Austrocknung, Erschwerungen,
Günstlingswirtschaft, unerwünschte Übertretungen, politische
Manipulation, kurzum Korruption. Gut, das heutige Kultusministerium ist unser
Erbe, ein Stein am Hals. Während des Orangenen Majdans
und des Majdans der Würde gab es Versuche, dies
in Worte zu fassen und die Beziehungen zwischen den kulturschaffenden
Kreisen und diesem Moloch zu verändern. Es gab viel Lärm. Dann aber
die Übereinkunft und auf Wiedersehen auf dem nächsten Majdan... Aber man muß
ernsthaft diesen Moloch loswerden. Man kann ihn nicht reformieren. Dieser
posttotalitäre Mechanismus ist in der Ukraine sogar irgendwie ohne Bedarf.
Wenn in der UdSSR verständlich war, welche politische Aufgabe das
Kultusministerium zu erfüllen habe, dann hat man ihm in der
unabhängigen Ukraine lange gar keine Aufgaben gegeben. Weder der ehemalige
Sekretär der KPdSU Leonid Krawtschuk und noch viel weniger der rote Direktor
Leonid Kutschma. Als erster nahm sich der
National-Bankier Wiktor Juschtschenko der Sache an. Entsprechend guter
sowjetischer Tradition formulierte er diese Aufgabe folgendermaßen: Das
Kultusministerium hat sich zu beschäftigen (nicht fördern) mit der
ukrainischen Nationsbildung, mit der Bildung des ukrainischen Volkes mit den
Mitteln der Kultur. Und niemand auf dem
seinerzeitigen Regierungs-Olymp hat sich die Frage gestellt, ob wir kulturelle
Praktiken in der unabhängigen Ukraine bilden oder fördern
müssen? Und man machte sich daran genau so zu „bilden“ wie in der UdSSR –
dank dessen, dass dieses Instrument – das Kultusministerium – beibehalten
wurde, als wären nicht anderthalb Jahrzehnte verstrichen seit dem
Untergang der UdSSR. Dieses Instrument wird weiter
aufrechterhalten. Ist also die ukrainische
Gesellschaft möglicherweise ebenso totalitär wie es die UdSSR war?
Natürlich nicht. Warum konservieren und legitimieren wir dann also immer
wieder ein Instrument totalitärer Kultur-Leitung und der totalitären
Bombardierung des eigenen Volkes? Das kultusministerium
hat sich praktisch nicht verändert. Und wenn sich etwas verändert,
dann erinnert es an die Veränderung der Bettwäsche in der
sowjetischen Armee, wo „die erste Kompanie die Bettwäsche mit der zweiten
tauscht“. Unser Kultusministerium
kümmert sich um die gleichen nichtreformierten Kultureinrichtungen wie
bereits in der UdSSR. Außerdem sind sie nicht reformiert in ihren
künstlerischen Ansätzen – obwohl es sie auch gibt – sondern gerade in
ihren auf Klientel ausgerichteten Positionen nicht nur hinsichtlich des
Kultusministeriums, sondern der Gesellschaft insgesamt. Und dies ist das
Hauptproblem im Bereich der Kultur, eine riesige Massse
von Kultur-Institutionen, noch zu kommunistischen Zeiten geschaffen, wartet
darauf, dass man ihnen Aufgaben gibt und regelmäßig für ihre
Ausführung Lohn zahlt. Ich male das natürlich in etwas groben
Strichen. Aber wir müssen entscheiden,
ob wir irgendeine Aufgabe den Kultur-Institutionen geben wollen oder nicht. Und das wird auch die Antwort
sein auf die Frage, ob wir bereits eine postsowjetische Gesellschaft sind oder
noch nicht. Alle werden auf mich beschimpfen,
was sagst Du denn da! Nein und nochmals nein! Bereits zwei Majdane
und Krieg usw. Wir diktieren nicht den „Meistern der Kunst“, wir stellen gar
keine Aufgaben... Gut. Wie dann die Beziehungen
knüpfen zwischen Gesellschaft und kulturelle Institutionen – über das
Kultusministerium? Andererseits muß
die Gesellschaft dafür zahlen, was sie nicht betrifft? Natürlich gibt es
Bildungseinrichtungen der Kultur, der Musik- und Kunsthochschulen, Bibliotheken
usw. Sie stehen außerhalb dieser Diskussion. Bildungs-, VolksbildungsErinnerungs- einige wenige (wirklich wenige)
akademische Kultureinrichtungen ohne Frage. Sie dienen entweder einem konkreten
Bedarf, eine staatliche Anordnung, oder sie sind wirklich Ausweise und
Prestigeobjekte für den Staat. Was aber soll man mit den
aussterbenden schöpferischen Kulturinstitutionen machen? Auf diese
Überlegungen gibt es natürlich mehr Fragen als Antworten. Jedenfalls muß eine Antwort gegeben werden, andernfalls bleibt
es bei einem Sowjetmenschen, einem Sovok. Einem Sowok in Pumphosen. Und bezahlt wurde für die
Vernachlässigung der Modernisierung der kulturellen Strategien irgendwo
dort, auf den Schlachtfeldern von Debalcewe. Übersetzer:
Christian Weise
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