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Natalia RomanyshynZusammenschluss. Rechte und linke Bundestagsabgeordnete unterstützen gleichermaßen die russische These zum Krieg in der UkraineDie TEXTY-Ausgabe hat untersucht, was die Bundestagsabgeordneten der beiden
Oppositionsparteien Die Linke und Alternative für Deutschland (AfD)
über die Ukraine getwittert haben. Ihre Einstellungen zu zentralen ukrainischen Fragen stimmen überein,
sie sind sich auch bei der Wiederholung russischer Propagandathesen einig. Die Politiker aus den beiden Lagern kritisieren die deutsche Regierung
für Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland. Doch es gibt auch Unterschiede. Für die Verhandlungen zwischen Kiew
und Moskau setzt sich vor allem die Partei Die Linke. Und die rechtsgerichtete AfD äußert sich häufiger negativ
über ukrainische Flüchtlinge und verbreitet Aussagen, die wir als
anti-ukrainisch definiert haben. Die Definition wird weiter unten
angeführt. Der Grund dafür wird von Serhiy Sumlennyi, dem Direktor des European Resilience
Initiative Centre in Berlin, erklärt. Ihm zufolge ist die Grundlage
für diese Einigkeit die Anti-Establishment-Position beider Kräfte.
Die Hauptbotschaften der systemfeindlichen Parteien wie Die Linke und die AfD
lauten, dass die derzeitige Regierung der Bevölkerung die Wahrheit
vorenthält, dass die NATO einen globalen Kampf gegen alles Gute führt
und dass es daher notwendig ist, sich ihr entgegenzustellen. Dieses Modell
passt gut zum Bündnis mit Putin, denn die Parteien unterstützen sein
Konzept, dass es im Westen keine echte Demokratie gäbe und dass Russland
einen alternativen Ansatz bieten könne, bei dem es „echte Wahrheit
und Freiheit“ gäbe. Gegen Waffenlieferungen Schauen wir mal, welche der beiden Fraktionen aktiver über die Ukraine
geschrieben hat. Die Mehrheit der AfD-Mitglieder (79 % der Mitglieder mit Twitter-Accounts)
erwähnte die Ukraine in ihren Beiträgen auf eine oder andere Weise. Im anderen Lager, der Fraktion Die Linke, twitterte eine geringere Anzahl
von Abgeordneten über die Ukraine - etwa 60 %. Diejenigen, die getwittert
haben, haben jedoch mehr getwittert als ihre Kollegen vom rechten Flügel
zusammen. Insgesamt ist die Zahl der Tweets über die Ukraine bei Die Linke
höher: 220 gegenüber 170 bei der AfD. Nach der Prüfung des Inhalts der Beiträge haben wir sieben
Kategorien von Erzählungskonzepten über die Ukraine ermittelt: 1.
Gegen
Waffenlieferungen - Aufrufe, die Ukraine nicht mit Militärhilfe und Waffen
zu versorgen 2.
Friedensverhandlungen
- Forderungen nach einem Waffenstillstand und diplomatischen Beziehungen mit
dem Aggressor 3.
Anti-ukrainisch
- gegen den Beitritt der Ukraine zur NATO/EU, negative Haltung gegenüber
ukrainischen Flüchtlingen, Kritik an der Gegenoffensive und Beschuldigung
der Ukraine in deutscher Verarmung, usw. 4.
Pro-russisch
- diejenigen, die russische Propaganda über die Sprengung von Gaspipelines
und des Wasserkraftwerks Kachowka verbreiten und die Verantwortung für den
Krieg von Russland auf den Westen abwälzen 5.
Antisanktionen - Äußerungen gegen
antirussische Wirtschaftssanktionen 6.
Asyl
für Russen - Aufruf zur Aufnahme russischer Wehrdienstverweigerer und
Unterstützung von Auftritten russischer Kulturschaffender 7.
Kritik an
der Tätigkeit des ehemaligen Botschafters der Ukraine in Deutschland
Andriy Melnyk Wir haben auch die Gruppe „Erwähnung der Ukraine“ ausgesondert, die
Beiträge enthält, die in keine der oben genannten Kategorien fallen. Die beliebtesten Themen der Beiträge deutscher Abgeordneter waren
Aufrufe gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und der Übergang zu
Friedensverhandlungen. Sie schrieben die meisten Tweets zu diesen Themen, und
sie erhielten auch die meiste Interaktion mit den Nutzern sozialer Medien; sie
hatten viele Likes, Retweets und Diskussionen in den Kommentaren. Die beiden Parteien kritisieren die deutsche Regierung für die
Entscheidung, die Ukraine mit Waffen zu beliefern, und sind überzeugt,
dass Diplomatie und Friedensgespräche oberste Priorität haben
sollten: „Heute wurden im Bundestag umfangreiche Waffenlieferungen an
die Ukraine beschlossen. Die anderen Fraktionen, außer der Linken,
übten sich in erschütternder Weise in Kriegs-Rhetorik. Sie sollten zu
Friedens-Rhetorik zurückkehren! #niewiederkrieg“, schreibt Karsten
Hilse (AfD). Sie behaupten, dass Waffenlieferungen nur das Risiko einer globalen
Eskalation und der Ausbreitung des Krieges auf Westeuropa und insbesondere
Deutschland erhöhen: „Eine große Mehrheit der Deutschen
lehnt die Lieferung von Waffen – insbesondere Kampfpanzern – an die #Ukraine
entschieden ab. Aus gutem Grund, denn das Eskalationspotential dabei ist enorm.
Wir müssen alles tun, um einen Krieg mitten in Europa zu verhindern!#AfD“, twittert Gerold Otten (AfD). Friedensverhandlungen Ein weiteres heißes Thema ist das Drängen auf
Friedensgespräche mit dem Aggressor und eine diplomatische Lösung des
russisch-ukrainischen Krieges: „Auch nach Überzeugung
führender Militärexperten kann ein Frieden nur am Verhandlungstisch
erreicht werden. Die BReg muss sich konsequent für einen Waffenstillstand
einsetzen & eine internationale Friedensinitiative unterstützen, um
diesen Krieg endlich zu beenden.“, so Amira Mohamed Ali (Die Linke). Die Linke warb aktiv für die Petition „Manifest für den Frieden“
der Bundestagsabgeordneten Sarah Wagenknecht von der Linkspartei und der
Journalistin Alice Schwarzer und rief zur Unterzeichnung auf: „Dieses Manifest & die Friedenskundgebung sind in einer Atmosphäre der
Kriegshysterie dringend notwendig. Nach Beendigung des Kalten Krieges begann
der Westen damit, das Völkerrecht zu verletzen.“ schreibt Gregor Giese (Die Linke) Sarah Wagenknecht ist eine deutsche Politikerin, die für ihre
Sympathien für den Kreml bekannt ist. Insbesondere hat sie sich in der
Vergangenheit für die Auflösung der NATO und die Schaffung eines
Sicherheitsbündnisses mit Russland eingesetzt und die Rückkehr
Russlands in die G8 gefordert. Alice Schwarzer ist die Gründerin der Zeitschrift EMMA und eine
bekannte deutsche Feministin. In letzter Zeit wurde ihre Position jedoch
zunehmend mit der Unterstützung pro-russischer Interessen in Verbindung
gebracht. Nach Angaben der Deutschen Welle bezeichneten mehrere deutsche Medien ihre
Petition als „Manifest der Unterwerfung“, in dem die Initiatoren für
sofortige Verhandlungen plädieren, da die Ukraine angeblich „einen
Krieg gegen die größte Atommacht der Welt nicht gewinnen kann“. Generell hatte Sarah Wagenknecht von allen untersuchten Abgeordneten den
höchsten Anteil (44 %) an den der Ukraine gewidmeten Tweets. Auf ihrer
Twitter-Seite wirbt sie aktiv für die Unterzeichnung des Manifests und
fordert die Ukraine zu Verhandlungen auf. Die Abgeordnete setzt sich auch
für die Einstellung der Lieferungen von Munition, Kampfjets und Panzern an
die Ukraine ein. Wagenknecht meint, dass der Krieg in der Ukraine wegen des Westens und
nicht wegen der russischen Truppen auf ukrainischem Gebiet geführt wird.
Auf den Abzug des letzten russischen Soldaten zu warten, hält sie für
aussichtslos, und die Ukraine und ihre Verbündeten müssten akzeptieren,
dass diese Position völlig unrealistisch sei: „Ich war gestern bei #HartAberFair: Wer erst verhandeln will, nachdem d. letzte Russe von d. Krim vertrieben
ist, nimmt weitere Eskalation in Kauf & spricht sich für jahrelangen #Krieg aus, d. Tausende weitere Opfer fordert & #Ukraine am Ende völlig zerstört https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/video-frieden-mit-putins-russland-eine-illusion-100.html..." Darüber hinaus verbreitet der Abgeordnete russische
Propagandanachrichten und beschuldigt die Ukrainer, die Nord-Stream-Pipeline zu
gesprengt zu haben: „ARD, ZEIT, SWR bestätigen Washington Post:
Bundesregierung wusste früh von den geplanten Anschlägen der #Ukraine auf #Nordstream. Wie kann es sein, dass sie diese Anschläge nicht verhindert &
keine Schutzmaßnahmen ergriffen hat?“ Ein weiterer aktiver Mitstreiter, Klaus Ernst, Mitglied der Linken, teilte
diese Darstellung: „Laut Washington Post war es ein ukrain.
Sonderkomando, das Nordstream 1 & 2 zerstört
hat. Der CIA war früh informiert. Jetzt wird klar, warum in Deutschland
alles geheim bleiben soll. Ein feindlicher Akt der Ukraine gg. Deutschland.
Stimmung könnte kippen“. Gleichzeitig trat Ernst gegen die Lieferung von Waffen und die
Verhängung antirussischer Sanktionen auf, forderte sofortige Verhandlungen
und kritisierte die ukrainischen Behörden und die Ukrainer im
Allgemeinen: „Selenskyj will uns offensichtlich in einen Atomkrieg
treiben. Das ist in höchstem Maße verantwortungslos. Die Bösen
in diesem Krieg sind die Russen, die Ukrainer sind aber auch nicht die Guten.“
Asyl für Russen Die These vom „Asyl für Russen“ wurde am stärksten von Mark
Jongen von der Alternative für Deutschland und Jan Korte von der Linken
vertreten. Jongen vertrat die Position, dass die Kunst außerhalb des Krieges
bleiben sollte, und verbreitete den Slogan „Keine #Sippenhaft für
russische Künstler!..“. Dies war die
Reaktion auf die Ereignisse vom 2. März 2022, als der Münchner
Oberbürgermeister den Russen Valery Gergiev als Chefdirigenten der
örtlichen Philharmoniker entließ und die Bayerische Staatsoper die
Zusammenarbeit mit einer weiteren Bürgerin des Aggressorlandes, Anna
Netrebko, beendete. Korte kritisierte unterdessen, dass die deutsche Regierung zu wenig
für russische Kriegsdienstverweigerer tue und forderte mehr
Asylmöglichkeiten für sie in Deutschland: „Es ist zynisch,
dass die Bundesregierung aus @spdde, @Die_Gruenen und @fdp die Dezimierung von
Putins Armee durch Waffenlieferungen betreibt, aber nicht durch
Unterstützung von Desertion und Kriegsdienstverweigerung. Was ist aus den
Versprechen im September 2022 geworden?“ Methodik Die Daten für die Studie wurden zwischen dem 24. Februar 2022 und dem
7. Juli 2023 heruntergeladen, je 100 Nachrichten pro Person. Bei den
Benutzerkonten, die häufig tweeten, wurden die letzten hundert Nachrichten
berücksichtigt. Insgesamt haben wir mehr als siebentausend Tweets und Retweets analysiert,
von denen 5% die Ukraine betrafen. Wir berücksichtigten 84 Abgeordnete, da
die übrigen 33 Bundestagsabgeordneten dieser Parteien entweder keine
Twitter-Accounts haben, diese nicht auf der offiziellen Website des Bundestags
aufgeführt sind oder ihr letzter Tweet vor dem 24. Februar 2022
veröffentlicht wurde. Um relevante Tweets zu identifizieren, d. h. solche, deren Inhalte sich auf
die Ukraine beziehen, verwendeten wir BERTopic-Themenmodellierung mit ChatGPT
und Stichwortsuche. Der nächste Schritt war die maschinelle
Übersetzung der Tweets ins Ukrainische DeepL zur weiteren manuellen
Validierung der Themen und Inhaltsanalyse der Beiträge. 22 09 2023
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