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Die Situation in Bezug auf die letzten Ereignisse um den polnischen Kriegsfriedhof “Orlat” auf dem Friedhof LytschakiwSiehe auch:
Präsident Kwasniewski sagt Reise zu Friedhofseröffnung ab Von Thomas Urban Warschau – Der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski hat eine fĂĽr Dienstag geplante Begegnung mit seinem ukrainischen Kollegen Leonid Kutschma abgesagt. Die beiden Staatsoberhäupter sollten in der westukrainischen Metropole Lemberg (Lwiw) einen renovierten Friedhof eröffnen, auf dem die Gefallenen der polnisch-ukrainischen Kämpfe um die Stadt im Jahr 1918 liegen. Der Lemberger Stadtrat hatte zuvor ĂĽberraschend den Text einer Inschrift auf einem Denkmal abgelehnt und somit die Feier verhindert. Kutschma äuĂźerte in einem Telefongespräch mit Kwasniewski Verständnis fĂĽr dessen Entscheidung und ĂĽbte Kritik am Votum der Lokalpolitiker. Die gesamte polnische Presse schrieb von einem Akt des „ukrainischen Nationalismus“. Der Streit um den Friedhof währt bereits mehrere Jahre, seine Eröffnung durch die Präsidenten wurde wiederholt verschoben. Stein des AnstoĂźes war nun fĂĽr die Lemberger Ratsherren das Adjektiv „heldenhaft“ bei der Inschrift auf dem Denkmal fĂĽr die polnischen Soldaten, die 1918 gefallen sind. Lemberg gehörte bis 1918 zu Ă–sterreich-Ungarn, nach Ende des Ersten Weltkriegs riefen die Ukrainer ihren eigenen Staat aus, während neu aufgestellte polnische Verbände fĂĽr die Wiederherstellung des Königreichs Polens kämpften, zu dessen Zeiten Lemberg polnisch war. 1918 gewannen die Polen den militärischen Konflikt, doch mussten sie die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeben, weil Stalin das Gebiet der UdSSR anschloss. Politiker aus beiden Ländern äuĂźerten die Hoffnung, dass der Streit um den Friedhof die guten zwischenstaatlichen Beziehungen der letzten Jahre nicht beeinträchtigen werde. Kwasniewski und Kutschma treffen sich mehrmals jährlich. Die FĂĽhrungen beiden Staaten sprechen von einer „strategischen Partnerschaft“. Beide haben ein gemeinsames Interesse: die Wiederentstehung eines russischen Reiches zu verhindern. Polen versteht sich als Anwalt der Ukraine bei der Annäherung an westliche Strukturen. Olexandra Chartchenko Taras Wozniak: „Wir muessen das Niveau erreichen, wenn wir einander vergeben koennen“Die Sitzung des L´viver (Lemberger) Stadtrates vom 16. Mai 2002 hat ein großes internationales Echo hervorgerufen. Man fasste dort nämlich einen “ausgewogenen” Beschluss über die Einweihung des polnischen Soldatenfriedhofs "Orląt", aber die Wünsche der Polen wurden nicht berücksichtigt. Die L´viver Stadträte haben den Besuch von Alexander Kwaśniewski in L´viv am 21.Mai 2002 in Frage gestellt. Dieses Thema ist bereits zum Topthema der polnischen Massenmedien geworden. Ein einziges Wort verursachte eine deutliche Abkühlung in den Beziehungen zwischen zwei Nachbarn. Sinnvoll wäre es gewesen, wenn man eine Kommission gebildet hätte, die sich detailliert mit der Frage beschäftigen könnte. Statt dessen hat man in jener Sitzung über Fragen diskutiert, die für die Stadträte viel wichtiger waren, nämlich über die Verteilung von Posten in den Kommissionen und in der Exekutive. Auf der Tagesordnung standen sechs Punkte. Punkt sechs war die Frage der Einweihung des Friedhofs "Orląt". Während der Debatten verwandelte sich die Sitzung in ein politisches Meeting. Die Atmosphäre im Saal war aufs Höchste angespannt, und die Auftritte der patriotisch gestimmten Vertreter der L´viver Öffentlichkeit waren geradezu hysterisch. Die Stadträte haben es dann nicht gewagt offen gegen diese “Öffentlichkeit” aufzutreten. Taras Wozniak, Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen in der L´viver Stadtverwaltung: “Der Beschluss des L´viver Stadtrates hat einen Riesenskandal verursacht. Aber dieser Beschluss spiegelt keineswegs die Meinung der Ukrainer und Polen wieder. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß diejenigen Gruppen von Politikastern (es sind keine richtigen Politiker), die am lautesten waren, eine Minderheit bilden. Leider ließen sich die L´viver Kleinpolitiker von ihnen verführen. Leider wurde dabei nicht nur der Stadtrat, sondern auch der neue Bürgermeister diskreditiert, der noch versuchte, auf die Stadträte einzuwirken. Der Herrgott sagte seinerzeit: Ich werde Sodom und Gomorra verschonen, wenn ich dort zehn Gerechte finde. Im L´viver Stadtrat fand sich kein einziger, der nüchtern und klar über den Soldatenfriedhof nachgedacht hätte. Ich glaube nicht, dass Ukrainer Beschlüsse fassen sollten, die sich auf das Gedenken fremder Verstorbener beziehen: ob diese Menschen als Helden geehrt werden dürfen oder nicht. Man darf mit Gräbern keine Politik machen. Zu meinem großen Bedauern, habe ich keine Stimmen aus dem kirchlichen Milieu gehört. Ich denke, wenn das Haupt der griechisch-katholischen Kirche, Kardinal Liubomyr Husar, sich mit einer Ansprache an die L´viver Bürger gewendet hätte, hätten sie auf ihn gehört. Aber das hat er nicht gemacht. Sein öffentlicher Auftritt im Fernsehen am nächsten Tag nach der Sitzung des Stadtrates kam zu spät. Bekanntlich hat vor Jahrzehnten eine gemeinsame Erklärung der deutschen und französischen Erzbischöfe eine entscheidende Rolle im deutsch-französischen Versöhnungsprozess gespielt. Aber heute haben die Vertreter der Kirche geschwiegen, und das war ein großer Fehler. Denn auch das ist eine nicht-christliche Haltung: die Unfähigkeit, dem anderen zu vergeben. Man kann einem Menschen vergeben, der einen verletzt hatte. Man kann Maria Magdalena vergeben. Nur den Heiligen braucht man nicht vergeben. Aber Ukrainer und Polen sind keine Heiligen. Das heißt, wir müssen uns darum bemühen, einander zu vergeben. Dazu sind weder die polnische noch die ukrainische Gesellschaft bereit. Die Präsidenten haben leider alle Beteiligten unter Zeitdruck gesetzt – innerhalb von drei Wochen sollte die Frage über die Einweihung des Friedhofs "Orląt" entschieden werden. Aber diese Frage lässt sich nicht in drei Wochen lösen. Das Problem existiert schon zehn Jahre. Aber wer hat denn wohl in der ganzen Zeit mit den L´vivern gearbeitet, bzw. mit der ukrainischen und polnischen Gesellschaft ? Ich bin Beamter und weiß, daß all diese Fragen mit den Besuchen von hohen Staatsbeamten enden (als letzer hat der ukrainische Außenminister Anatolij Zlenko L´viv besucht). Aber in den Zeiten zwischen den Besuchen arbeitet niemand mit der L´viver Öffentlichkeit. Deshalb hat sie auch keine eigene Meinung, oder weiß nicht, wie eine Meinung auszudrücken sei. Infolgedessen wird die Tribüne von den Politikastern missbraucht. Jaroslaw Hrytcak, Direktor des Historischen Seminars: Für mich ist der Beschluss des L´viver Stadtrates mehr als ein Verbrechen. Es ist eine Dummheit. L´viv hat sich wieder einmal als provinziell gezeigt. Es hat sich gezeigt, dass die Lembeger Stadträte und Intellektuellen nicht fähig sind, in größeren Zusammenhängen zu denken und zu handeln. Wie kam das zustande? Zunächst sind die psychologischen Gründe von Bedeutung. Welchen Stellenwert hat L´viv in der Ukraine? In den letzten Jahren, insbesondere während Kutschmas zweiter Amtszeit, spürte man starke Ressentiments zwischen L´viv und Kiew. L´viv erklärt sich als einen Ort der Opposition gegen das Regime in Kiew. Aus L´viv werden starke Zweifel geäußert, inwieweit dieser Staat ukrainisch und demokratisch sei. Man bezweifelt die Ehrlichkeit des Präsidenten, wenn er von der EU-Integration spricht. Dagegen beobachten wir die Verstärkung des russischen Faktors in der Ukraine. Es reicht einfach durch die L´viver Straßen zu laufen, und zu schauen, in welcher Sprache Bücher und Zeitungen angeboten werden und in welcher Sprache die Musik von überall her tönt. Deshalb ist die Frage nach dem Friedhof "Orląt" nicht nur ausschließlich eine polnisch-ukrainische Angelegenheit. Das ist eine ukrainisch-polnisch-russische Angelegenheit. L´viver Politiker und Intellektuelle fühlen sich gefährdet: Sie glauben, mit der Ukraine sei es vorbei. Weil sie sich als “nationale Minderheit” fühlen. Ihre Sprache ist gefährdet, ihre Geschichte verpönt, ihre politische Empfehlungen werden nicht wahrgenommen. Die Galizier gelten als Provinzler. Deshalb fühlen sie sich wie in einer belagerten Festung und sind nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Hier fängt die Geschichte mit dem Friedhof "Orląt" an. Vom ukrainischen Standpunkt aus gibt nichts wichtigeres als die Beziehungen zu Polen, sie sind unsere Perspektive. Deshalb müssen wir die kleinen Hindernisse überwinden, die dem gutnachbarschaftlichen Prozess im Wege stehen. Doch lassen sich die Menschen leider nicht von den Interessen, sondern von den politischen Leidenschaften leiten. Und dann werden diese Leidenschaften geschickt von bestimmten Politikern für deren eigenen Interessen missbraucht. Es handelt sich in L´viv in Wirklichkeit um eine kleine radikale Gruppe. Ich bin überzeugt, daß die meisten Stadträte der Meinung sind, die Sache mit dem Friedhof "Orląt" sollte möglichst schnell gelöst werden. Aber man hat versucht, das Problem administrativ von oben zu lösen. Und die Gesellschaft schläft. In dieser Situation kann dann eine kleine Gruppe ganz mühelos im Namen der Öffentlichkeit auftreten. Gäbe es ein Referendum, da bin ich mir sicher, dann würden die Bürger keineswegs abstimmen, wie es der Stadtrat getan hat. Die meisten Menschen verfolgen pragmatische Interessen und möchten diesen Konflikt so schnell wie möglich lösen. Vielleicht klingt das zynisch, was ich jetzt sage, aber mir ist völlig gleichgültig, ob auf der Gedenktafel das Wort „heroisch” stehen wird oder nicht. Das liegt an der persönlichen Verantwortung der Polen. Wenn sie glauben, diese Wort sei passend, dann sollen sie es auf die Tafel schreiben und dafür auch die Verantwortung tragen. Und nicht nur gegenüber den Ukrainern, sondern auch gegenüber den Franzosen, Deutschen und Juden, die den Friedhof besuchen werden. Als Historiker beziehe ich mich auf einen bekannten polnischen Kollegen, Stefan Kieniewicz. Er schrieb, der polnische-ukrainische Krieg in L´viv sei in Wirklichkeit kein Massenkrieg gewesen. Es war die Sache einer Gruppe von nationalbewussten und patriotisch engagierten Menschen, die jeweils für eine nationale Zugehörigkeit ihrer Stadt kämpften. Die Bevölkerung war desinteressiert und hat still abgewartet, wie dieser Krieg endet. Ein österreichischer Offizier polnischer Herkunft hat an seine Haustür geschrieben: "Hier wohnt ein österreichischer Offizier. Neutral". In der Geschichte des Friedhofs "Orląt" sehen wir Züge, die typisch sind für diesen jahrhundertealten polnisch-ukrainische Konflikt. Auf der ukrainischen Seite sind es Unprofessionalität, das Gefühl der Unterlegenheit, der Wunsch, den Gegner, wenn schon nicht mit Kraft, dann eben mit Schlauheit zu besiegen. Auf der polnischen Seite haben wir ein Gefühl der Stärke, ein besonders stark entwickeltes Gefühl der nationalen Würde, aber auch einen gewissen Snobismus gegenüber den Ukrainern. Unter diesen Bedingungen ist es noch schwierig, an eine Aussöhnung in der Geschichte des Friedhofs "Orląt" zu glauben. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die Einweihung stattfinden wird. Ich glaube doch, dass die politischen Leader in der Ukraine klug genug sind, um eine vernünftige Lösung zu finden." Veroeffentlicht in der Zeitung „Wyssokyj Zamok“ am 20.05.2002 Wir sollen Europa in uns verteidigen ! Der BeschluĂź des Lemberger Stadtrates vom 16. Mai 2002 ueber den polnischen Kriegsfriedhof “Orlat” auf dem Friedhof Lytschakiw, die Entscheidung des polnischen Praesidenten Alexander Kwasniewski den Besuch nach Lemberg abzusagen und ein lautes Medienecho, die diese Ereignisse begleitete, zeigten wie verletzlich die polnisch-ukrainische Annaeherung sei. Die Daemonen des Chauvinismus hatten gar nicht vor, ihre Waffen niederzulegen. Der Wert der proeuropaeischen Rhetorik von polnischen Eliten ist der Stellung von Humanisten Vaclav Havel gleich, der aus Konkurrenzmotiven ethnische Saueberungen in Nachkriegseuropa billigte und sich geweigert hatte ueber “Benesdekreten” zu diskutieren. Zu einer harten Probe auf Chauvinismus wurde fuer Polen die Frage ueber die Rekonstruktion des Friedhofs aus der Zeit der polnisch-ukrainischen und polnisch-bolschewistischen Kriege 1918-1920. Es handelt sich dabei um Soldaten und zivile Bevoelkerung. Hyperpatriotische polnische Propaganda der Vorkriegszeit nannte diesen Friedhof “Friedhof Orlat /Adler”. Man betonte insbesondere die Tatsache, dass gegen die ukrainische regulaere Armee die Zivilbevoelkerung gekaemft hatte. Es waren auch Frauen und Kinder dabei, die in Strassenkaempfen ums Leben gekommen sind. Die militaerischen Mythen wurden von den polnischen Medien aufgegriffen und von der oeffentlichen Meinung, auch von den Menschen, die sich als Europaer und Liberale identifizieren. Man hat geschickt mit den tief verwurzelten chauvinistischen Stereotypen manipuliert und die Tatasache missbraucht, dass die meisten Polen nie im heutigen Lemberg gewesen sind und diesen Friedhof nie mit eigenen Augen gesehen haben. Der Gesellschaft wird geschickt von oben eine Rechtferigung aufgedraengt fuer die Errichtung einer neuen Berliner Mauer, fuer die Enstehung an der polnisch-ukrainischen Grenze einer sinnlosen Visumbarrierre, die ein Kind des modernen europaieschen Rassismus und Xenofobie sei. In Polen gibt es natuerlich eine Reihe von exellenten Fachleuten – Historiker, Journalisten, oeffentlichen Personen, deren die Kompliziertheit der polnisch-ukrainischen Beziehungen voellig bewusst ist. Doch ist ihre Position nicht stark in dem Massenbewusstsein verankert. Und die Informiertheit ueber Ukraine ist weitgehend nicht so gross wie ueber die USA, Deutschland oder Russland. Noch schlimmer ist es mit dem Wissen ueber Polen in der Ukraine. Ein durschnittlicher ukrainischer Buerger lebt heute noch von den Mythen und Stereotypen gefangen. Der Beschluss der Lemberger Stadtraete bietete dem ukrainischen Praesidenten Leonid Kutschma eine Supergelegenheit an, den europaischen Vektor der ukrainischen Aussenpolitik einzuschraenken. Im Laufe der ersten und der zweiten Kadenz, hat unser Praesident alles moeglich getan, damit das “Friedhofproblem” in Lemberg nicht geloest wird: es gab keine Konsultationen mit den Vertretern der lokalen Macht, niemand erforschte die oeffentliche Meinung und niemand versuchte die oeffentliche Meinung zu beeinflussen, es wurden sinnlose Entscheidungen getroffen, und den finanziellen Beitrag der Ukraine in die Renovierung des Friedhofs kann man auch nicht annaehernd mit dem Umfang und dem Tempo der Finanzierung der haesslichen Bauten auf dem Majdan Nezhalezhnosci in Kiev vergleichen. Andererseits, wurde eine aussenpolitische Frage zur Abrechnung in den innenpolitischen Angelegenheiten missbraucht – zwischen der Macht und Opposition, zwischen dem Zentrum und Regionen, zwischen den verschiedenen administrativen Strukturen. Die neugewaehlten Lemberger Stadtraete verzichteten auf die ukrainischen nationalen Interessen um ihre kleinstaedtische Interessen zu realisieren und dem Druck vom demagogischen Plebs zu entweichen. Sie haben in aller Oeffentlichkeit die Bitte von Wiktor Jutschenko missachtet, sie hoerten nicht auf die Vertreter der katholischen Kirche. Diese Beschraenktheit und Engstirnigkeit wird ihren Waehlern schaden, die zum grossen Teil von der polnisch-ukrainischen grenzueberschreitenden Wirtschaftskooperation profitieren. Der neue Stadtrat, wie auch der alte ist wohl nicht bereit die realen Interessen der Stadt zu verteidigen. Diese Situation empfinden wir als eine Niederlage fuer alle Vertreter des dritten Sektors – in der Ukraine und in Polen – die auf ein Dialog, Kooperation, Vergangenheitsverarbeitung und Versoehung in sicherem Europa gerichtet sind. Wir sollen noch einmal die Ursachen dieser Niederlage analysieren und dann zusammen ueberlegen wie man die Situation verbessern koennte um diese peinliche Krise ueberwinden. Wir wenden uns an alle. Wenn die euroapeische Werte fuer Sie eine Bedeutung haben, wenn Sie diese Ereignisse ahnhlich einschaetzen, dann schliessen Sie sich uns an. |